Laut einem Bericht von 20min.ch halten sich viele Angestellte bei Kurzarbeit nicht an die Regeln: Sie arbeiten mehr, als sie dürften. Meldet die Firma das nicht den Behörden, ist das Sozialversicherungsbetrug.
Weniger arbeiten, dafür zahlt der Staat einen Teil des Lohns: Dieses Jahr haben Firmen massenhaft Kurzarbeit beantragt. Dabei läuft nicht alles mit rechten Dingen, wie eine Studie aus Grossbritannien zeigt, an der auch eine Ökonomin der Universität Zürich beteiligt war: Fast zwei Drittel der rund 9000 befragten Arbeitnehmer gaben an, dass die Regeln nicht eingehalten würden. Ein grosser Teil davon arbeitet auch, wenn das im Rahmen der Kurzarbeit eigentlich nicht vorgesehen wäre.
Die Entschädigungsgelder vom Staat erhalten die Unternehmen, weil sie ihre Mitarbeiter nicht beschäftigen können. Wenn ein Arbeitgeber Geld kassiert, weil gewisse Arbeiten nicht erledigt werden können, muss er dem Staat melden, wenn die Leistung doch erbracht wird. «Sonst wäre das keine Sozialversicherung für den Arbeitnehmer, sondern eine Subvention für das Unternehmen», so Personalexperte Matthias Mölleney.
«Das ist kriminell.»
Matthias Mölleney, Personalexperte
Das Phänomen beschränke sich nicht aufs Ausland, ist Mölleney überzeugt: «Das gibts natürlich auch in der Schweiz.» Es treffe vor allem Verwaltungstätigkeiten, da es in vielen anderen Jobs gar nicht möglich sei, heimlich weiterzuarbeiten – wenn etwa ein Pilot trotz Kurzarbeit fliegt, wird es schwierig, das zu vertuschen.
Wie verbreitet diese Form von Betrug in der Schweiz ist, ist unklar. Aber das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erhält regelmässig Meldungen zu möglichem Missbrauch von Kurzarbeit. Auf Anfrage heisst es, bisher habe man 275 Meldungen erhalten. Ob der Verdacht begründet ist, werde jeweils im Rahmen von Arbeitgeberkontrollen geprüft.
Firmen riskieren Strafanzeige
Wie viele bestätigte Fälle es gibt, beantwortete das Seco nicht. SP-Nationalrätin Gabriela Suter weiss aber von einigen: «Arbeitnehmende haben sich bei mir gemeldet und erzählt, sie müssten früher ausstempeln, dann aber doch noch mehrere Stunden weiterarbeiten.»
Das vereinfachte Verfahren beim Antrag von Kurzarbeit sei in der Krise zwar sinnvoll für die Vollzugsstellen und die Firmen. «Aber es öffnet leider auch die Tür für Missbrauch.» Sie fordert deshalb, dass das Seco zusätzliche Massnahmen ergreift, um diesen Missbrauch zu bekämpfen, und verstärkte Kontrollen durchführt.
Auch Rechtsanwalt Nicolas Facincani weiss, dass solcher Missbrauch vorkommt: «Mir sind vereinzelt solche Fälle bekannt, die aber noch nicht geahndet wurden.» Sollte so ein Fall aufgedeckt werden, muss der Arbeitgeber nicht nur die Entschädigung zurückzahlen, sondern auch mit einer Strafanzeige wegen unrichtiger Angaben rechnen.
Dem Mitarbeiter selbst könne man in solchen Fällen kaum einen Vorwurf machen, meint Mölleney. «Ihm hat man bis jetzt immer gesagt: ‹Je mehr du dich einsetzt, desto besser› – und jetzt darf er plötzlich nicht mehr zur Arbeit kommen.» Dass er auch in Kurzarbeit mehr leisten will, als er darf, sei darum verständlich.
Aber auch der Arbeitnehmer kann belangt werden, warnt Facincani. Dies, sofern man mit unwahren oder unvollständigen Angaben Versicherungsleistungen erwirkt hat – also vor allem wenn man falsche Arbeitszeiten erfasst und so etwa suggeriert, man habe weniger gearbeitet.
NEUE PROGNOSE
16 Milliarden Franken für Kurzarbeit
Die Corona-Krise belastet die Bundeskasse: Die ausserordentlichen Ausgaben betragen 16 Milliarden Franken, wie die Credit Suisse in einem Gutachten vom Montag schreibt. Das ist aber nur halb so viel wie die bisher erwarteten 31 Milliarden Franken. Grund für die bessere Prognose sind die tieferen Kosten für die Kurzarbeitsentschädigung und für die Corona-Erwerbsersatzentschädigungen, wie die Credit Suisse schreibt. Auch die Abschreibungen auf die Covid-19-Kredite dürften kleiner sein als budgetiert, heisst es im Gutachten weiter.
«Diesem Sozialversicherungsbetrug muss ein Riegel geschoben werden», sagt Unia-Sprecherin Katja Signer Hofer zu 20 Minuten. Im Tätigkeitsbereich der Gewerkschaft selbst habe man zwar keine Kenntnis von konkreten Fällen. «In gewissen Branchen scheinen solche Praktiken aber vorzukommen. Beispielsweise im Medienbereich.»
Die Unia befürchtet zudem, dass Firmen von Kurzarbeit profitieren und gleichzeitig die Angestellten in kürzerer Zeit dieselbe Arbeit erledigen lassen. «Das geht auf Kosten der Gesundheit der Angestellten.»
Handy- und E-Mail-Verbot
Auch der auf Arbeitsrecht spezialisierte Anwalt Boris Etter schliesst nicht aus, dass es bei Schweizer Unternehmen eine Grauzone geben könnte, wo trotz Kurzarbeit mehr gearbeitet wird. Das sei aber wohl nur bei kleineren Firmen der Fall. Bei den Grossunternehmen beobachtet er das Gegenteil: «Da wird Kurzarbeit knallhart umgesetzt.»
Das gehe teils so weit, dass einem der Zugriff aufs Geschäftshandy an bestimmten Tagen verwehrt bleibt und man auch keine E-Mails verschicken darf. Rechtlich gesehen sei es Aufgabe des Arbeitgebers, die Angestellten über die gesetzlichen Bestimmungen zur Kurzarbeit zu informieren.